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Kollektives Kettengedicht zur Vielseitigkeit der Poesie

Zeitbrüche, gerade Entstehendes oder endgültig Vergangenes, utopische oder dystopische Räume und viele neue Verse für interkontinentales Möglichkeitsdenken: Wir haben Gedichte zum Thema ALL THAT POETRY gesammelt!

Vom 17. bis zum 23. Juni schrieben DichterInnen und BesucherInnen des Festivals gemeinsam an einem kollektiven Kettengedicht zur Vielseitigkeit der Dichtung. Aus jeder Richtung, in jeder Sprache.

Aus allen Einsendungen erstellte unser Team ein kollektives Gedicht zum 23. poesiefestival berlin.

cuerpos entre cuerpos (Körper zwischen Körpern)

1. cuerpos entre cuerpos (Körper zwischen Körpern)

 

Ich drehe blaue

Schraubenmuttern unter deine Achsel,

flechte deine Haare zu spröden Seiten,

und kletter‘

in deine Poren.

 

el vacío entre

cuerpos entre cuerpos

celeste

 

mag dir worte in den mund legen wie mandarinenhälften,

stück für stück,

frisch gepflückt von meiner brust zu deinem magen

(da lagen liebeslieder immer gut)

 

mein poem in a heart shaped box

schmiere ich sandwiches für dich

mit mayo mit veganglutenfrei

dann essen wir zsamm dann kriegst

du keine reaktion wird dein herz nicht

zu schnell ticktackieren kösziköszi

du bist so soso und lieb und fauteuilbequem

und ich hab zorn zorn in den graben

in silentiumgraben wo wir mit

debreziner bedeckt wurden wo unsere formen

parisermässig werden nasse fleischmassen

haarkranz auf dem kopf in your head in your head

wir all die zombies die IRA-afters die Syrienafters

die in newslettern bedeckt aufgewachsene

 

Vergeblich suchen Eichendorffs Lichter ihre Subjekte

hier in dir, Erbrochenem der industriellen Vortage.

In Zwangstücher aus Stein eingeschlagen

kokst du in deinem toxischen Wolkenreich tief in der Erde.

Es herrscht Krieg mit dir.

Aber die Wut darauf solltest nicht du ertragen.

 

du weißt doch

wie du da rauskommst

ganz flow

durchs Licht im Schlot

und vorsichtig gleiten

über die rauchenden Reste

 

wir stellen uns unsere Lungenbläschen vor

gegen die Eindringlinge

bella ciau

 

erkenn ich dich noch?

 

was soll uns jetzt

der doppelte Regenbogen sagen?

deutet er auf ein

stochastisches Problem?

 

prall

fallen

die Magnolien

 

im Mai werden wir alles gewonnen haben

Körper und Antikörper

 

Wenn Sie Mich /

Sehen Sehen Sie /

Wenn Mich Sieht /

Was Dich Sehen /

Bedeutet – : /

wir fallen in die form /

& die form fällt zurück /

auf uns/

 

in mikrogalaxien

 

all that war.

thwarted.

 

fallen mir lehren ein:

chaos. ich will uns chaos bauen.

machst du mit?

Jedes Wort bleibt ohne Hauch in den Netzen

2. Jedes Wort bleibt ohne Hauch in den Netzen

 

Damaskus ist wie ein altes verlassenes Haus

 

Ein Haus das zerfällt

Die Risse werden größer

Der Putz bröckelt ab

Die Farben bleichen aus

 

Nie wieder Terrassen.

Interessiert niemanden mehr.

Nur noch Weltschmerz und Monotonie.

Nie mehr Klischeekindergeschichte.

 

Vom Zwischen gelöst führen die falschen Organe ihre dialogisierten Monologe.

Über zu neue Karten jagend erteilen sie die in Norm gesetzten Befehle

ohne lebendige Absichten zu verfolgen.

In Codes liegende Nachahmungen erschlagen die Wahrheit.

Jedes Wort bleibt ohne Hauch in den Netzen.

Das Hören ist nur noch Funktion.

 

Aber der Wahrheit Klang schläft ungelesen im Gedicht.

Erwacht im Herzen der Begegnung unerwartet.

I slept at the edge of one verse (Ich schlief am Rande eines Verses)

3. I slept at the edge of one verse (Ich schlief am Rande eines Verses)

 

Wer hat den Rosen gesagt,

dass wir in diesem Sommer

ihrer üppigen Blüten bedürfen?

Sicher die Dichter.

Oder die Kinder.

Katzen kämen noch in Frage

Und die Spatzen.

Sonst niemand.

 

grün das dach der poesie, si

grün der Veltliner im glas, si

grün der billiardtisch im exil, si

grün die brosche an der spitze,si

deine verse aber warum so düsterli Sissi?

 

ein einzig wert sperrt ein kreis-

verkehr rigoroser größen ohne

selbst zu denken kehren alle unter

deck tauchen alle ein ins

dunkle bad

der angst werfen leichthin sätze

vor dich hin spießen wahnsinn

overlocked und unbewertet

fällt anheim fällt mein stern

mein langes haar fängt an

zu zittern fliehe in die streu-

obstwiese reiße mir die worte aus

dem mund

 

See what Poetry does – it escapes me

Like a child playing hide-and-seek

Concealed in the most obvious places thinking

That I don’t see it – but I do. I pretend.

 

Lest it learns to hide better and deprive me

Of the pleasures I take in watching it.

See what Poetry does—it serpents

With the milk in my coffee and I

 

Drink it. I feel it in this late autumn breeze; it carries

The smell of wilted jasmine and fallen skies and I let it

Embrace me. See what Poetry does –

It hides between the vibrations

Once upon a rhyme, Poetry tucked me into

a bed made of

crepuscular light and long, warm alexandrines.

 

I slept at the edge

of one verse and slum-

bered off to the next.

 

I was confined in a maze of parallel mirrors

I was confined within empty anaphoras.

No poetry! No poetry, no cry

It makes me feel I just wanna die

No verse, no perverse, no text

Look at the page and the white is the best

No rhyme, no rhythm, no line

It’s much better to throw up the wine

No dance, no style, no tear

If I see a sonnet I tremble with fear

Fuck Whitman! Fuck Ginsberg! And fuck me!

Without her clothes she’s the whole I can read

Burn Beckett, burn Byron and Baudelaire is long dead

So that’s the end of any poem writing head.

 

warm up cool down

poets all over the place

poetry all over the place

poems explode all over the space

poetry right in your face

poets on every corner

 

words gone crazy

all aroun‘ town

down town

up town

cool down

poetry okay

no rules

 

Diese janze Po

esie

jeht dir am Aasch vorbei?

Mensch nie

wa se so

jebraucht als wie

in diese unjereimte Zeiten.

Mit ihre phitsch jereimte Zeilen

in meen Idiom jetunkt –

kannse uns heilen

?

Kannse – PUNKT

Liebe in den Augen meiner Mutter

4. Liebe in den Augen meiner Mutter

 

Ich weiß,

wo die Hornisse jagt,

kenne ihr Revier

Die Hitze tagt und

Das Bier liegt kühl

 

Großstadt brutzeln,

draußen fliegen Drachen durch Kondensmilch

 

Flussabwärts wird getanzt

Der Atem schnell die Fische springen in Freude der Füße hinein

Glitschig rutschen sie zurück

Ein hoher Himmel zeigt Sterne,

Lachen treibt in Fahnen hinweg,

fällt ins Rauschen, ins Tanzen, ins Schwimmen.

 

Wann bist du direkt in der Welt,

ohne Wand zwischen dir und dem Schönen?

Trommeln holen dich aus dem Schlaf in den Tag.

 

Die Sonne scheint

Prall auf das Feld

Das Licht sie weiht

Der Ort erhellt

 

Der Sommer kocht

wir schälen uns

aus

Höhlen/Häuten

 

Komm,

tau die Liebe vom letzten Jahr auf

die ist noch gut

 

Cherry Tomaten

und gebrochene Herzen

nach oben

die zerdrücken

 

zu

leicht

 

Und gibt es denn in Automaten auch Tomaten,

Tomatenautomaten mit Automatentomaten,

Tomatenautomatentomaten?

 

im auge meiner mutter

bin ich liebe licht summe ich

mit meinen bettschwestern margarite goldfinger aufzehenspitzen

anyám szemében szeretet fény vagyok szeretett fény szeretet

im auge meiner mutter bin ich liebe licht geliebtes licht liebe

 

Ich schließe die Augen

Berühre mein Herz

Dann geht doch alles nur noch aufwärts

Dann öffne ich Tür und Tor

Wofür, wenn nicht zuvor

Für den Moment, der schreibt, der gedeiht und

darauf verweist.

Für den Moment, der mich treibt und der uns alle

am Leben heißt

 

Im Jetzt

Bin ich

Werd ich

War ich

Bin ich

Im Jetzt

ansichtsweise Leben entdeckt

5. ansichtsweise Leben entdeckt

 

meine Augen sind krokodilgrün

und weiß wie gebleichte Zähne.

mein Krokodil hat Hunger

und frisst nur Rinderfilet

vom Metzger für siebzig Euro das Kilo.

meine Worte kosten zehn Euro das Kilo.

aber am Ende des Tages

werfe ich sie euch

umsonst hinterher.

 

Denn die ewige Frage ist doch:

Was bin ich ohne die Gedanken der anderen Ohne Austausch von Gefühlen

Ohne einen verliebten unvergesslichen Blick Wenn ich nur mich anschaue und keinem mehr vertraue

Nur weil du die Welt vor 16 Jahren verlassen hast

Mein Roman in der Schublade seit Jahren Ohne dich sinnloses offenbaren

Nichts Wert von reflektieren

Warum sollte ich ohne dich Kunst probieren?

 

Endloses

waltet in uns

Dunkles Strömen

von keiner Hand geführt

von Nirgendwo zu Nirgendwo

 

Gedankengewirr, ständig

kreisende

Bewegung

Einbahnstraße, Fehler,

Selbstzweifel,

wegwischen,

mit einem Federstrich –

 

ansichtsweise Leben entdeckt,

Flügel in den Himmel gereckt,

mit der Erde in Demut verbunden,

neue Felder im Wandel erkunden,

Weichheit erprobt im Beisammensein,

hoch und tief

und groß und klein,

alles ist darin enthalten,

Freundschaft lichtet das Verhalten,

 

In der Ferne friert ihr das Auge des Winters hinüber

in eine Landschaft

die denn Sommer nur kennt

 

meghal az idő

ha elmegyek

ragyogás

ha nincs idő

 

meghal a tér

ha szétzuhan

szárnyalás

ha nincsen tér

 

meghal a szemem

ha elszálltam

na gyerünk már

pokolra velem

 

ott nincs idő

ott nincsen tér

ott nincsen fény

csak ragyogás

 

Life,

the place where our body is alive

while our soul is not

Death,

the moment, in which our body vanishes

and our soul becomes alive

Stele: Für das Ukrainische Volk

Stele: Für das Ukrainische Volk

von Yousef Mantk

 

Grüße an das Volk der Ukraine

Vassil, wir sind hier.

Ruhe in Frieden

Es gab keine Kirchenglocke.

der Warnton und das Flugzeug und die Bombe.

Träumen Sie von Entführung, Zerstörung von Häusern.

Sie haben die Tür früh am Morgen geöffnet.

Der Kriegsbrief war zu Gast

Rauch und Atmung, Körper und Blut, zerstörte Häuser

ein Körper werden

Oh, der Himmel des Landes ist seit Jahrzehnten sauber.

Der Nebel des Todes bedeckte den Himmel

Die Krieger zogen in den Krieg.

Trauer um die Familien, Tränen und das Meer sind zu Brüdern geworden, Gebete wurden gelesen

Der Migrationskonvoi war großartig

Die Kinder weinten nach Spielen.

Das Leben in der Stadt ist vorbei.

Wer bleibt in der Stadt und auf dem Schlachtfeld?

Invasoren und Kämpfer der Ukraine

Vereinheitlichen Sie Ihre Linien, sichern Sie die Barrikaden.

Nimm die Waffen, verschwende keine Kugeln.

Kämpfe, du bist nicht allein.

Die  Friedenskämpfer der Welt sind mit euch

Vassil, dir und mir wurde Unrecht getan.

Seit Hunderten von Jahren ist Kurdistans Land besetzt

Kurden haben endlos geopfert

Unser Weg ist immer noch hart. Es bleibt noch viel übrig.

Unsere Geschichte ist in Blut geschrieben.

Ihre Geschichte wird mit Blut geschrieben

Nur der Traum von Diktatoren

Besatzung und Größe der Macht

Auf der Ebene der Kriminalität sind sie blind und still.

Auf der Ebene der Interessen sind sie vereint

In Schande ist das Meer still, der Mond ist blind, die Sonne ist geschlossen und der Himmel weint

Die Arroganz des menschlichen Selbstmords

Der alte Bär ist verfilzt und leise

Sibiriens weißer Tiger hat geschärfte Zähne

Sie sagen, verrückte Hunde leben vierzig Nächte.

Wer den Krieg nicht verflucht, wird das gleiche Schicksal haben wie er

Ukrainisches Volk

Beruhige dich und gestehe dir selbst.

Sie sind nicht allein, die Freiheitskämpfer sind auf Ihrer Seite

Vassil, wir sind hier.

Ruhe in Frieden.

Wann immer die Friedenstaube kommt

Sie hat die gute Nachricht vom Erfolg.

Wir danken allen TeilnehmerInnen für ihre inspirierenden Zeilen: Katalina Ketschau, Kira Henkel, Marina Büttner, Kinga Tóth, Cowgirl, Sebastiano Diciassette, Paula C. Georges, Thomas Koch, Aya Altelmissany, Wolfgang Weber, Regina Groening, Alicia Voigt, Cornelia Hohmann, Yousef Mantk, Marie Hahne, Shaktil Pohlmann, Anne Mertens, Szkárosi Endre sowie zahlreiche BesucherInnen des poesiefestivals berlin.